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Mythos Sizilien

Wo ist das Haus des „ispettore“?

La Sicilia - was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an diesen klangvollen Viersilber denken? Welche Assoziationen weckt er?
Sizilien gilt als Insel der Leidenschaften, der Suggestionen und der Mysterien. Deshalb gebiert dieser Name unausrottbare Klischees: Mongibello, Mondello, Monreale, Mandelblüte, Mezzogiorno, Marsala, Mattanza, Mafia - wozu neben der Literatur ganz besonders auch Film und Fernsehen kräftig beitrugen: Luchino Viscontis Verfilmung des „Gattopardo“, Tornatores „Cinema Paradiso“ oder die TV-Serie über „Commissario Montalbano“, dessen casa, die „Villa Marinella“ auf der Punta Secca (in der Provinz Ragusa an der Südostküste) zu einem Pilgerziel wurde … Unzählige Reisende haben sich zudem IHR Bild von Sizilien gemacht. Es gibt kaum eine andere Destination, die so sehr das Begehren erregt, sich dorthin zu begeben und sich über sie und ihren schwierigen >Charakter< auszulassen. Doch die verklärenden oder verdammenden Schilderungen Trinakiens, der „Insel der drei Vorgebirge“, werden ihrer hyperkomplexen Struktur, ihrer verwirrenden, aber durchaus aktuellen >Diversität< nicht gerecht.  

 

Das Rätsel hinter der unanfechtbaren Schönheit 

Denn diese einmalige, vielgestaltige Insel, „ein System von Inseln innerhalb einer Insel“ ist mehr, sie ist ein Brennpunkt, ein permanenter Ein- und Widerspruch, eine „Metapher der Welt“ und so etwas wie der „blinde Fleck“ Europas. Touristen aus aller Welt erfreuen sich an der Jahrtausende alten Kulturlandschaft, aber sie tauchen selten ein in die ebenso tiefen und provozierenden wie offenen Geheimnisse hinter der meist meerumglänzten Kulisse. Als wenig hilfreich erweist sich dabei leider auch das überstrapazierte Goethe-Wort, Sizilien sei „der Schlüssel zu allem“.

„In der bisherigen Geschichte der Menschheit hat wohl kein Land und kein Volk so entsetzlich unter Sklaverei, fremden Eroberungen und Unterdrückungen gelitten und so leidenschaftlich um seine Freiheit gekämpft, wie Sizilien und die Sizilianer", schrieb Karl Marx 1860. Dieses Urteil verdankt sich gewiß auch der speziellen „Brille“ des Autors, erklärt aber gleichwohl das gebrochene Verhältnis der Sizilianer zum Meer, das übrigens auch den Sarden und vielen anderen Insulanern eigen ist: Lebten sie doch lieber „mit dem Rücken“ zu ihm, denn von dort kam „alles Übel“, kamen immer neue Eroberer.
Daß die Invasionen nicht abrissen, ist freilich wenig verwunderlich: Sizilien ist die größte Insel des Mittelmeeres. Sie liegt im realen und psychischen (Epi-) Zentrum eben dieses Meeres, das die Römer machtbewußt als „mare nostrum“ bezeichneten, das aber tatsächlich die Wiege unserer Zivilisation ist.


Wer Sizilien eroberte war Herrscher der Welt.

Die Mächtigen und Feldherren verstanden gewiß nicht soviel von Physik und Mathematik wie der Syrakuser Bürger Archimedes, aber immerhin so viel wußten sie: Sizilien war der Punkt, von dem man aus die (damals bekannte) Welt aus den Angeln heben konnte.
Sizilien war und ist eine geologische und kulturelle Schnittstelle, eine >Brücke< zwischen Europa und Afrika, zwischen Orient und Okzident, lebendiges Symbol und korrumpierter Repräsentant des mediterranen Geistes. Eine Region, deren würdigste Vertreter immer versucht haben, aus diesem besonderen Esprit heraus zu leben, ohne mit ihm unterzugehen. Und das bedeutet: Bei aller spielerischen Theatralik das nie abreißende Abenteuer der Verständigung voranzutreiben. Also: Auf der Piazza (agorà) sitzen, „prendere un caffè o un aperitivo“, sich Zeit nehmen, ohne sie zu vergeuden, Zeit füreinander haben, sich - bei allem levantinischen Geschäftssinn - für sein Gegenüber interessieren, Nähe spüren, das Einigende und nicht nur das Trennende sehen, Unterschiede akzeptieren und mit ihnen konstruktiv umgehen, aus jedem Gespräch etwas lernen. Und nicht zuletzt: „l`amore per il bello“, die Liebe und Verehrung des Schönen. Das Wissen also, das das Leben - bei aller moralisch und psychisch oft schwer zu ertragender Schicksalhaftigkeit - das ist, was WIR daraus machen!


Das Amerika der Antike

Dieses Sizilien, von dem Goethe sagte, dass es dort sei, wo sich alle Ströme und Zeiten vereinen, „wo alle Strahlen der Weltgeschichte zusammenlaufen“, gehört ebenso zur phantasievollen homerischen wie zur politisch-philosophischen Geographie. Hier und in der gesamten „Magna Graecia“ hinterließ das koloniale Griechentum unauslöschliche Spuren - nicht nur in Syrakus, der damaligen Hauptstadt des westlichen Reiches, der Wirkungsstätte vieler bis heute nachwirkender Geistesgrößen wie Platon und Aischylos. Im 4. Jahrhundert lebten in dieser reichen und auf nahezu allen Gebieten (Bildung, Rhetorik und Wissenschaft) den Ton angebenden Metropole angeblich eine Million Menschen und am Ostgiebel des der Athena geweihten Siegestempels, dessen wuchtigen dorischen Säulen und Kapitelle nunmehr den Dom „Santa Maria delle Colonne“ schmücken, glänzte der goldene Schild der Göttin wie ein Fanal in der Sonne. 


Kreatives Konglomerat

Der muslimische Dichter Iqbal schrieb: „Sizilien, du bist die Zierde des Meeres ... warst die Wiege der Kultur dieses Volkes, dessen Schönheit wie Feuer die Welt entflammte“.

 

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